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Mittwoch, Mai 23, 2012

"Das Volksstheater im 21. Jahrhundert" - Visionen der Kultursenatorin

Kaum hat der Intendant des Volkstheaters endlich sein Konzept abgeliefert, schon wird es durch ein Ideenpapier der zuständigen Senatorin ergänzt / konterkariert / in Frage gestellt. Offenbar passen die beiden Materialien nicht ausreichend zueinander, denn sonst gäbe es ein gemeinsames Konzept.

Die NNN berichtet am 23. Mai 2012 folgendes:

Für die zukünftige inhaltliche Ausrichtung des Volkstheaters hat auch Kultursenatorin Liane Melzer (SPD) schon Impulse gegeben. Sie finden sich in einem Ideenpapier mit dem Titel "Das Volkstheater Rostock im 21. Jahrhundert", das unter anderem in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Bürgerschaftspräsidenten und Rostocker Beauftragten für Stasi-Unterlagen, Christoph Kleemann, entstand. Einen Schwerpunkt legt das Melzer-Papier auf den künstlerischen Nachwuchs. Er soll frischen Wind ins Volkstheater bringen. So schwebt der Senatorin eine Orchesterakademie an der Norddeutschen Philharmonie vor. Damit verbunden ist eine engere Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater.

Im Schauspiel sollen mehr Ur- und Erstaufführungen den Spielplan bereichern. "Der Höhepunkt der Entwicklungsarbeit könnte sich alle zwei Jahre in einem für Deutschland einzigartigen durchzuführenden Event mit dem Namen ,Woche der neuen Dramatik’ manifestieren", heißt es in Melzers Konzept. Die Kultursenatorin setzt insbesondere in diesem Punkt auf Unterstützung von Land und Bund. Weitere Ideen sind der Ausbau des Kinder- und Jugendtheaters, niederdeutsches Theater sowie eine Bürgerbühne, in der zum Beispiel Rostocker Senioren kreativ werden könnten.

In Melzers Vision ist das Volkstheater ein zugänglicher Ort. Öffentliche Proben und Gastronomien sorgen dafür, ebenso wie mehr Vorstellungen in den Stadtteilen und im Umland. Auch mit anderen Städten im Ostseeraum soll das Volkstheater zusammenarbeiten. "Hier gilt es, alle Förderprogramme der EU zu nutzen", so Melzer.

Die Frage der Finanzierung reißt die Senatorin in ihrem Papier nur an. Auch wenn sie sich vom Theaterneubau einen Anstieg der Besucherzahlen - und damit des Kostendeckungsgrades - verspricht, sagt sie mit Blick auf die eingefrorenen Landeszuschüsse und die Personalkosten: "Der derzeit errechnete Sockelbetrag von 19,8 Millionen Euro wird nicht ausreichen, um den Spielbetrieb in der jetzigen Form absichern zu können."

Anmerkungen:

  • Die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Rostocker Beauftragten für Stasi-Unterlagen ist ganz sicher eine Garantie für die Qualität des Melzer-Papiers (wo sind wir eigentlich hingeraten?).
  • Mehr Ur- und Erstaufführungen im Schauspiel: Neues um jeden Preis? Vielleicht nach dem Modell, einen Fontane-Roman zum Bühnenstück umzuarbeiten? Oder nicht doch aufbauen auf Bewährtem, dass zugleich noch immer tagaktuell ist? Spontan fallen mir da Lessings "Nathan", Hacks's "Frieden" und der "Drache" von Schwarz ein - eine sehr bescheidene Auswahl von vielen, vielen guten Stücken, die auch heute noch unter die Haut gehen, wenn sie richtig und nicht als Selbstverwirklichkeitsversuch des jeweiligen Regisseurs aufgeführt werden.
  • Ein für ganz Deutschland einigartiges Event "Woche der neuen Dramatik" umsetzen? Das wäre vielleicht zur Zeit von Perten ein anspruchsvolles Ziel gewesen, als das Rostocker Theater über die Stadt- und Landesgrenzen hinweg einen hervorragenden Ruf hatte. Unter den heutigen desolaten Bedingungen halte ich diese Zielstellung für eine maßlose Selbstüberschätzung.
  • Ist es nicht eine Milchmädchenrechnung, dass in ein größeres, neues Theatergebäude mehr Zuschauer gehen und dadurch mehr Einnahmen generiert werden? Hängt die Akzeptanz des (potentiellen) Publikums nicht eher vom Angebot und seiner Qualität ab? Wenn in den jetzigen kleinen Spielstätten so viele Sitzplätze leer bleiben, wie mag es dann in einem größeren Neubau aussehen?

Leonard's Theaterkonzept - bemerkenswerte Akzente und offene Fragen

Die NNN berichtet am 23. Mai 2012:

Dritter Anlauf: Leonard liefert Konzept

Die ersten beiden Konzepte von Intendant Peter Leonard wies der Aufsichtsrat zurück. Version drei setzt auf eine höhere Auslastung.

Nach drei Anläufen liegt jetzt das inhaltliche Konzept für die Ausrichtung des Volkstheaters von seinem Intendanten Peter Leonard vor. "Zukunft und Tradition" heißt das 15 Seiten lange Papier, mit dem Leonard den Weg für die Jahre 2012 bis 2018 weisen will. Der Intendant setzt darin auf die Zugpferde Orchester und Musiktheater. Sie sollen, zusammen mit Abstechern und Tourneen, mehr Besucher erreichen und die Einnahmen auf 1,6 Millionen Euro jährlich bringen.

Zuvor hatte der Aufsichtsrat des Volkstheaters Leonards Konzept schon zweimal zurückgewiesen. Die Politiker forderten vom Intendanten, seine inhaltlichen Vorstellungen in Einklang mit den betriebswirtschaftlichen Plänen zu bringen. Zwischenzeitlich soll Leonard sogar schon der Rausschmiss gedroht haben. Mittlerweile hat der Intendant bereits selbst angekündigt, seinen 2014 endenden Vertrag auslaufen zu lassen. Ob das jetzige Ergebnis seiner Arbeit den Erwartungen der Lokalpolitiker entspricht, wird sich zeigen, wenn das überarbeitete Papier zur Diskussion in die Gremien geht.

Es sieht vor, dass das Musiktheater pro Spielzeit sieben Premieren mit 105 Vorstellungen auf verschiedene Bühnen bringt. Das Gros davon soll im ertüchtigten Großen Haus präsentiert werden. Für die kommende Spielzeit sollen große, hochwertige Produktionen wie eine Wagner- und eine Mozart-Oper Publikumsmagnete werden. Das Orchester soll 74 Konzertaufführungen pro Spielzeit bestreiten, wobei Leonard mit den Philharmonischen Konzerten, den Konzerten für Teens und Classic-Light auf Bewährtes setzt.

In der Sparte Schauspiel ist Leonards erklärtes Ziel eine Erhöhung der Auslastung. Dazu will er, wie bereits von Theatergeschäftsführer Stefan Rosinski vorgeschlagen, das Schauspiel im Theater im Stadthafen konzentrieren. Mit 13 Premieren pro Jahr und einer durchdachten Stückauswahl sollen neue Zielgruppen erreicht werden. Der Intendant macht klar: "Eine Infragestellung der Jugendarbeit aus wirtschaftlichen Gründen findet aus klaren künstlerischen Gründen keine Anwendung." Auch eine Erhöhung der Spielfrequenz, wie sie Rosinski gefordert hatte, schließt er aus: "Die Besetzung der jeweiligen Abteilungen lässt das nicht zu."

Veränderungen will Leonard im Tanztheater anstoßen. "Hier ist eine neue programmatische Richtung geplant, mit dem Ziel, verbesserte Auslastungen zu erreichen. Werke mit erkennbaren thematischen Richtungen sollen dabei bevorzugt werden." Insgesamt soll das Ballett zwei Premieren und 42 Vorstellungen im Jahr bestreiten...

Fragen:

  • Orchester und Musiktheater (74 Aufführungen pro Spielzeit) als Zugpferde und im Großen Haus dominant?
  • Das Schauspiel im Theater im Stadthafen konzentrieren? In diesem kleinen und notgedrungen mangelhaft ausgestatteten Theater mehr Besucher durch insbesondere "neue Zielgruppen" erreichen? 13 Premieren pro Jahr?! Das wäre, die Theaterferien bedacht, weit mehr als eine Premiere pro Monat! Wo bleibt da die Qualität?
  • Im Tanztheater eine "neue programmatische Richtung" umsetzen? Welcher Art? Noch besser als Roznos mit seiner Truppe? Das dürfte doch völlig unrealistisch sein! Und warum beim Ballett nur zwei Premieren/Jahr gegenüber 13/Jahr im Schauspiel und 74 Konzertaufführungen pro Spielzeit? Das Musiktheater soll 105 Vorstellungen/Spielzeit realisieren, das Ballett nur 42/Jahr. Ist hier schon eine Abwicklung des Balletts "angedacht"?
Posted by Dr. Günter Hering at 16:03
Edited on: Mittwoch, Dezember 05, 2012 16:07
Categories: Konzeption(en), Personal, Sparten, Tanztheater